Das ist echt der Klimagipfel

Die Region Hannover will bis 2035 klimaneutral werden, hat ihre Reduktionsziele aber gerade erst krachend verfehlt, speziell im Verkehrssektor nichts gespart, und sie hat den Südschnellweg-Ausbau planfestgestellt. Trotzdem fand am 8. Juli ein „Klimagipfel“ unter dem Motto „Gemeinsam. Schneller. Klimaneutral 2035“ statt. Wir haben uns dem Demo-Aufruf der Fridays for Future gern angeschlossen und vorm Regionshaus auch was dazu gesagt.


„Wir sind die, die im vergangenen Winter, in der letzten Rodungssaison, jeden Sonntag in der Leinemasch an den Rickies gezeigt haben, was dort alles zerstört werden soll. Es geht nicht um den Tunnel, der die kaputte Hochbrücke über die Hildesheimer Straße ersetzen soll – es geht uns um die sinnlose VERBREITERUNG des Schnellwegs.

Am 4. Oktober beginnt nach aktuellem Plan die Rodung, das Gebiet an der Leinebrücke wäre als erstes weg. Also noch knapp drei Monate, bis in einem einzigartigen Zusammenspiel von klimapolitischem Totalversagen die Leinemasch zerstört würde, um dort Standstreifen an den Südschnellweg zu asphaltieren.

Das darf nicht passieren. Und deshalb müssen auch Stadt und Region damit aufhören, sich nicht zuständig zu fühlen, auf „die anderen“ zu zeigen und sich selbst als Klimachampions zu feiern.


Ein Abstecher – über das Haus der Jugend, über Mexiko, Namibia und Elmau

Ungefähr 100 Meter von hier ist das Haus der Jugend. Da haben vor einem Monat Bettina aus Mexiko und Ina Maria aus Namibia von der „Karawane für das Leben“ Zwischenstopp gemacht, auf ihrem Weg nach Elmau zum G7-Treffen. Und tatsächlich gehörten sie in Elmau dann zu den wenigen, die überhaupt in Sichtweite zumindest des TagungsORTES protestieren durften, mit Riesenpolizeiaufgebot, insgesamt eine halbe Stunde lag.

Die beiden Frauen, die für Klimagerechtigkeit und Menschenrechte und besonders die Rechte indigener Menschen unterwegs sind, hatten im Haus der Jugend berichtet, wie ihre Umgebung, wie ihr Alltag von Mega-Infrastruktur-Projekten globaler Konzerne ruiniert wird, auch Deutsche Unternehmen sind mit dabei.

Die beiden wurden auch gefragt, wie sie zum Widerstand gekommen sind, und beide haben geantwortet: Wir sind im Widerstand zur Welt gekommen.

Und während sie in Elmau 500 Meter entfernt von den G7-Herrschern der Welt immerhin ein Zeichen dafür waren, dass es neben G7 noch andere Perspektiven und Interessen in der Welt gibt, wurde dort beschlossen, sämtliche Klimaabkommen vor allem zulasten des Globalen Südens zu brechen und in kolonialer Tradition neue fossile Großprojekte auf dem afrikanischen Kontinent in Angriff zu nehmen.


Was hat neokoloniale Tradition mit vier Kilometern Südschnellweg, mit Stadt und Region Hannover zu tun?

Etwas sehr fundamentales. Habt ihr in den letzten Tagen Berichte über Klimathemen verfolgt?

  • Gas und Atomkraft sind als nachhaltiges Investment deklariert worden. Von der EU.
  • Methan trägt wegen einer neuen Klima-Kettenreaktion viel stärker zur Erhitzung bei als bisher gedacht; Methan, das übrigens bei Förderung und Transport von fossilem Gas entweicht -,
  • die Abholzung des Amazonas erreichte im ersten Halbjahr 2022 Rekordausmaße –
  • eine weitere krasse Hitzewelle in Europa ist in Sicht,
  • in Südeuropa ist es gerade teilweise so trocken wie seit 1200 Jahren nicht
  • von Ernteausfällen wegen Krieg und Klimaveränderungen gar nicht zu reden

Das deprimierte Fazit „es ist zu spät“ ist da so naheliegend, aber es ist keine Option. Dafür reicht ein einziger Blick auf den Umstand, dass wir, ob wir wollen oder nicht, quasi G7 sind – und dass Menschen wie Ina Maria und Bettina schon ihr Leben lang einen so viel gefährlicheren und so ungleichen Kampf kämpfen, dass ihre Herkunftsländer massiv unter Klimakatastrophe und Ausbeutung leiden, auch weil G7-Länder dort ihre Profite machen.

Und – wie lächerlich klein erscheint es dagegen, ein so absurdes Projekt wie den Südschnellwegausbau zu stoppen, von dem noch nicht mal die Menschen profitieren, die heute aufs Autofahren angewiesen sind. Und: Es ist entscheidend, dieses absurde Projekt zu stoppen, denn es steht exemplarisch dafür, wie ungebremst und uneinsichtig weiter zerstört und geschadet wird, auch weil die am stärksten Leidtragenden global unsichtbar gemacht wurden oder zu jung sind, um sich zu wehren.


Es geht „nur“ darum, dass dieser Schnellweg im Landschaftsschutzgebiet mit Stand- und Mittelstreifen ausgestattet werden soll

  • weil alte Normen das so vorgeben, wenn mit MEHR Verkehr und hohem Tempo geplant wird,
  • so wie es die Landesstraßenbaubehörde getan hat, obwohl das die Realität leugnet,
  • weil die Region Hannover diese Planung abgenickt hat, obwohl sie es aus guten Gründen hätte verweigern können
  • und weil die Stadt Hannover kein lautes Veto in den Ring geworfen hat, so wie es im Mai Frankfurt am Main gewagt hat, gegen die A661. Die Stadt stellte klar: „Das Vorhaben steht dem Klimaschutz entgegen und ist materiell und rechtlich nicht gerechtfertigt“.

In unserem Planfeststellungsbeschluss sind als bindend dargestellt: die autozentrierten Normen eines Lobbyvereins, der das Wort Verkehrswende vermutlich nicht kennt.

Als NICHT relevant oder als reine Spekulation sind dargestellt: das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Erhalt der Lebensgrundlagen nächster Generationen, das Klimaschutzgesetz des Bundes und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

So weit der Planfeststellungsbeschluss. (Gegen den übrigens noch eine Klage beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg liegt – und wie das Bundesverwaltungsgericht gestern gezeigt hat mit seinem Urteil gegen den geplanten Ausbau des ersten A20-Bauabschnitts und damit auch gegen die Landesstraßenbaubehörde: Planfeststellungsbeschlüsse können auch revidiert werden)

Gemäß dieses Beschlusses passiert folgendes: Für die Standstreifen würden ab Herbst erst mehrere Fußballfelder große Flächen gerodet, unfassbare Mengen Erdreich über fette frisch asphaltierte Baustraßen durch die Leinemasch gekarrt, Dämme dann ohne Bäume mehr als zehn Meter breiter und 1,50 höher aufgeschüttet.

Und nach zehn Jahren Dauerbaustelle – auch für den Autoverkehr! keine Gewinner! – ist dann letztlich alles beim alten, nur mit schönen breiten, teuren Standstreifen inmitten eines vernichteten, kahlgehauenen Naherholungsgebiets.

Und jetzt die Pointe: Das alles für rund die Hälfte des Verkehrsaufkommens von heute, weil wir auf allen Ebenen von Stadt bis Bund Klimaneutralität anpeilen, die wir, die Beispiele zeigen es sooo dringlich, BRAUCHEN und haben MÜSSEN. Und Stadt und Region wollen sie 2035 erreicht haben.


Das Fazit ist:

Wenn Stadt und Region es ERNST meinen mit der Klimaneutralität, dann müssen sie anerkennen, dass sie eine ROLLE in diesem absurden Beschluss zum SSW-Ausbau gespielt haben. Die Stadt hat in der Phase des zugrundeliegenden „Ideenwettbewerbs“ zentral mitgewirkt und sich nie wirklich gegen die Pläne aufgelehnt, die Region hat das Vorhaben planfestgestellt.

Die Frage, die sie jetzt beantworten müssen, ist also, wo ihr politischer Wille und wo ihr Hebel ist, wo die Allianzen mit Land und Bund sind, die es braucht, um dieses absolut absurde Unterfangen JETZT aufzuhalten..

Noch stehen die Bäume, noch ist es nicht zu spät, den Ausbau politisch zu stoppen.

Wenn das nicht geschieht, wird es Menschen brauchen, die mehr Mut aufbringen und die sich einer Verantwortung stellen, die eigentlich nicht die ihre ist.