Raddemo – Auftakt – Rede LmB

19. Juni 2022 Julia von Leinemasch BLEIBT über zehn Jahre – die die Baustelle dauern würde, die unser Leben verändern und die die Welt ruinieren, wenn wir das Weiter-so nicht stoppen.

Wir sind als Leinemasch BLEIBT seit November in der Leinemasch unterwegs und haben im Winter in der Rodungssaison jeden Sonntag gezeigt, was dort an den Ricklinger Kiesteichen wirklich auf dem Spiel steht.

Es geht um Bäume, die für noch mehr Asphalt sinnlos gefällt werden sollen.
Es geht um ein Naherholungsgebiet, das für Autoverkehr zerstört werden soll.

Über eine Dimension wird bisher viel zu wenig gesprochen. Über die Zeit.

Es geht um etwa zehn Jahre.

Zehn Jahre – das ist echt viel Zeit. In zehn Jahren verlässt ein Kind, das heute geboren wird, die Grundschule. In zehn Jahren verändert sich unser Leben grundlegend.

Etwa zehn Jahre lang würde die Leinemasch eine Baustelle sein

– offiziell, laut Bauausschreibung, ist der Ausbau des SSW am 24. August 2030 beendet, wir rechnen da mal zwei Jahre Verzögerung drauf –,
zehn Jahre Zerstörung, hunderte Bäume gerodet, schwere Baufahrzeuge auf eigens angelegten breiten Baustraßen, direkt am Dreiecksteich und am Sieben-Meter-Teich, Erdbewegungen in unglaublichem Ausmaß, der ganze Tunnelaushub von der Hildesheimer Straße wird in die gerupfte Landschaft gekippt – denn der Damm soll mehr als zehn Meter breiter werden. Und 1,50 Meter höher!

Das heißt, Achtung Pendler*innen und Autofahrer*innen: auch der Südschnellweg selbst wird in dieser Zeit eine echte Baustelle sein. Freie Fahrt und sichere Standstreifen? Nein.

Zehn Jahre Zerstörung, Baustelle, Provisorium.

Und nach diesen zehn Jahren – das Neugeborene verlässt gerade die Grundschule! – ist das Landschaftsschutzgebiet in seinem Herzen zerwühlt, vernarbt und nackt, und oben auf dem Damm verläuft eine Straße, die jetzt Standstreifen hat und auf der jeden Tag 10.000 Autos mehr als heute fahren sollen.

In zehn Jahren haben wir das Jahr 2032. Was heißt das?

Bis dahin will die Bundesregierung die Emissionen – auch im Verkehr – um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt haben.
Das Land Niedersachsen will die Emissionen im Verkehr mindestens halbiert haben.

Stadt – und auch Region – wollen nur drei Jahre später klimaneutral sein – was auch für den Verkehr heißt: Emissionen runter auf fast null.

Und wisst ihr, wieviele Emission im Verkehr bisher schon eingespart wurden?

bundesweit: null

Land Niedersachsen: null
Stadt Hannover: null

Wie kann das sein? Dass einerseits so deutliche und auch immer schärfere Klimaziele formuliert wurden, aber die Fakten Jahr für Jahr ein so KOMPLETTES Scheitern zeigen.

Der geplante Ausbau des Südschnellwegs liefert die Antwort:

Es ist ganz einfach: Alle Pläne und Ideen und Ausschreibungen stammen unbeirrt aus einer Welt, in der gilt: „Mehr Autos, mehr Lkw, mehr Verkehr, breitere Straße“. Worte wie „Emission“, „Klima“ oder „Nahverkehr“ tauchen dort nicht auf – obwohl eine Straße und Brücken geplant werden, die bis ans Ende des Jahrhunderts Bestand haben.

Aber dann taucht das Wort „Verkehrswende“ doch noch im Planfeststellungsbeschluss auf, nämlich weil es einen Einwand der Bürgerinitiative Umweltschutz gab. Und die Antwort, die die Verfasser*innen dieses Beschlusses gegeben haben, heißt etwas gekürzt: Ja, es gibt ja nun sogar dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 zum Klimaschutz und das hat ja zwingend zur Folge, dass die Emissionen im Verkehrssektor gesenkt werden müssten. Und das führt ja dazu, dass das Verkehrsaufkommen, mit dem wir hier gerechnet haben, falsch wäre.
Dann im Wortlaut:

„Dies ist zzt., wie oben gesagt, reine Spekulation“.
Damit wurde diese Einwendung als unbegründet zurückgewiesen.

Das heißt: Erst wenn die Verkehrswende da ist, wird für die Verkehrswende geplant.
Oder: Wir bauen so lange Autobahnen, bis keiner mehr darauf fährt.

Das ist die Logik des Weiter-so, die uns ruiniert. Die Logik, die alle planetaren Grenzen sprengt und unseren Planeten bis zum bitteren Ende runterrocken wird.

Zurück zu unseren zehn Jahren:

Zehn Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Und eine verdammt kurze.

Die nächsten zehn Jahre sind wahrscheinlich die wichtigsten zehn Jahre, die es jemals auf diesem Planeten gegeben hat.

Und wir werden nicht zehn Jahre lang einfach zugucken, wie die Welt Stück für Stück von Profiteur*innen und Verantwortungsverweigerern zerstört wird – so wie die Leinemasch für zwei neue Standstreifen – während alles immer tiefer im Klimachaos versinkt.

Es ist anscheinend unser Job, uns die Gesetze und die völkerrechtlichen Abkommen und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die offiziellen Klimaziele zu nehmen und damit ernst zu machen. Ernst zu machen mit Artikel 20a GG – dass der Staat in Verantwortung für kommende Generationen die Lebensgrundlagen erhält. Ernst zu machen mit Paris 2015, die globale Erwärmung bei deutlich deutlich deutlich unter zwei Grad aufzuhalten.

Das sind riesige Aufgaben, aber wir müssen einfach JETZT damit anfangen – denn einfacher wird es nie mehr.

Hier haben heute allein 25 Initiativen und Gruppen zur Demo aufgerufen. Alle haben ihren eigenen Schwerpunkt und ihre eigenen Herangehensweisen, alle sind auf euch angewiesen – also darauf, dass Menschen wirklich anpacken und etwas verändern wollen. Egal ob ihr recherchieren, leicht ins Gespräch kommen oder gut organisieren könnt oder ob ihr bereit seid zu friedlichem Zivilen Ungehorsam, ob ihr jung seid oder alt. All das ist wichtig. Und wenn wir solidarisch an diese großen Aufgaben rangehen, sind wir viele und stark.

Als Leinemasch BLEIBT schaffen wir Öffentlichkeit und unterstützen den Widerstand gegen den Ausbau. Wir vernetzen uns in Hannover und bundesweit. Wenn ihr mehr wissen wollt – der nächste Info- und Austauschabend ist am Dienstag im FZH Linden, zu unserem nächsten Sonntagnachmittag in der Leinemasch AlsWärsDasLetzteMal laden wir kommenden Sonntag ein. Da wird es als Extra klassische Musik von Lebenslaute geben – alle Details und alle Termine auf den Infozetteln und auf unserer Webseite leinemaschbleibt.de

Das hörte sich an wie ein Werbeblock – dabei haben wir gar nichts zu verkaufen. Nur alles zu verlieren.

Vor uns liegen halt keine gemütlichen Zeiten. Aber Aufgeben ist keine Option. Keine Option für die Leinemasch, keine für die Menschen im Globalen Süden, und auch keine für unsere Kinder, die uns nicht in zehn, sondern spätestens in fünf Jahren fragen werden, was habt ihr eigentlich die ganze Zeit gemacht?