Sehr geehrter Herr Verkehrsminister Lies,

wir sind von Ihrem Büro vorgestern Abend zum Runden Tisch Südschnellweg eingeladen worden, der heute, am 17. November 22, stattfindet. Vergangenen Freitag hatten Sie bereits überraschend das Baumhausdorf am Südschnellweg besucht.

++ Dies ist eine Antwort als Offener Brief ++

Wir werden an diesem Runden Tisch nicht teilnehmen, denn wir befürchten, dass es auch darum geht, eine Räumung/Rodung der besetzten Bäume zu legitimieren und aktivistisches Handeln zu delegitimieren.

Aktivistisches Handeln in der Klimakatastrophe dient keinem Spezialinteresse, sondern dem Überleben der Menschen im Angesicht der Klimahölle. Es lässt sich nicht mit anderen Interessen verrühren zu einem „Kompromiss“. Aktivistisches Handeln in der Klimakatastrophe hat die Aufgabe, Regierungen zu zwingen, gemäß physikalischer Realitäten, gemäß Recht und Gesetz zu agieren. Zunehmend stehen Gerichte an der Seite von Aktivisti, zuletzt in Flensburg (Baumbesetzung) und Berlin (Letzte Generation).

Im Einzelnen:
Sie waren am vergangenen Freitag mit einer sechsköpfigen Delegation, zu der auch Herr Oehlmann, der Präsident der Landesstraßenbaubehörde gehörte, im Döhrener Maschpark, im Rodungsgebiet. Sie wurden dort spontan zu einem Gespräch ins Barrio, ins Baumhausdorf eingeladen, dort haben Sie den Aktivisti folgendes unterbreitet:

Da die besetzten Bäume für die Behelfsbrücke über die Hildesheimer Straße gerodet werden müssten, und sich der Protest nicht gegen Tunnellösung und Behelfsbrücke richte, könnten die Aktivisti doch auch jetzt sofort diese Baumhäuser verlassen. Als „Belohnung“ wurde die Teilnahme an einer Delegation nach Berlin angeboten, zu Verhandlungen mit Verkehrsminister Wissing.

Die besetzten Bäume nahe der Leinebrücke sind allerdings weit entfernt von der Hildesheimer Straße und der geplanten Behelfsbrücke. Die Äußerung kann als Versuch einer Überrumpelung gedeutet werden. Oder die Rodung für die anstehende Trockenlegung des Teichs, an dem das Barrio liegt, und dessen geplante Nutzung als Baustelleneinrichtungsfläche sollte in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der entfernten Behelfsbrücke gebracht werden. Das wäre eine starke Dehnung der Tatsachen und der Versuch, damit geplante Rodungen auch öffentlich zu legitimieren. Ähnliche Äußerungen finden sich auch im HAZ-Interview.

Richtig ist darüber hinaus auch: Solange die Verbreiterung des SSW und die Tunnellösung an der Hildesheimer Straße von der Landesstraßenbaubehörde nicht sauber in zwei getrennte Projekte geteilt werden, wird sich auch der Protest dagegen zwangsläufig nicht sauber trennen lassen.

Heute im HAZ-Interview: Keine Kompromisse mit Besetzern

Sie sagen im Zusammenhang mit Protestierenden, denen es um Grundsätzliches wie die Verkehrswende – oder auch explizit im genannten Beispiel zum Kohleausstieg – geht, mithin über Aktivisti: „Da geht die gesellschaftliche Debatte nicht darum, ob es ein paar Hektar mehr oder weniger sind, sondern wie wir als Gesellschaft wegkommen von den fossilen Energieträgern. Aber wenn dann Menschen Bäume besetzen wie im Hambacher Forst, dann sind Kompromisse sehr viel schwieriger zu erzielen. Wir wollen es hier trotzdem versuchen, denn das ist für mich die Aufgabe von Politik.“

Ohne diese Menschen in Bäumen, Herr Lies, gäbe es schon lange keinen Hambacher Forst mehr.

Über allen Kompromissen steht das Pariser Abkommen, steht das Klimaurteil des Bundesverfassungsgericht und steht Artikel 20a GG: Erhalt der Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen. Das Fenster zu handeln schließt sich. Es geht ums Grundsätzliche UND um jeden Hektar Wald, jedes Dorf am Tagebau. Das ist in der Tat nicht verhandelbar, und dafür zu sorgen, diese Abkommen und Gesetze im Bereich Verkehr gegen einen Bundesverkehrsminister Wissing durchzusetzen, ist auch Ihr Job, Herr Lies. Dafür sitzen Menschen in Bäumen.

Wir sind solidarisch mit Menschen in Bäumen. Hier und anderswo. Wir sind gesprächsbereit, aber nicht Teil eines Kompromisses, wie er hier offenbar gedacht ist.

Wir fordern:
Sanierung des Südschnellwegs im Bestand.
Neuausschreibung der Brückensanierung in Bestandsbreite.
Beides entsprechend Verkehrsprognose 2035 = mindestens Halbierung des Verkehrsaufkommens  gemäß Klimaneutralität von Stadt und Region.
Diese Anpassung der Planung an die Realität und an die Klimagesetzgebung bedeutet keine Nachteile für Autofahrer*innen, denn auch nach aktueller Planung würde der Verkehr auf dem SSW in den kommenden zehn Jahren in einer einspurigen Baustelle massiv eingeschränkt sein. Mit dem Unterschied, dass sich diese Staus auf Dämmen ohne Bäume hinziehen würden.

Freundliche Grüße

Leinemasch BLEIBT
Presseteam https://leinemaschbleibt.de/presse/