Wir ziehen ein Zwischenfazit nach zwei Tagen Räumung und Rodung in der Leinemasch. Hannover, 17. Januar 2024, 10:00
1. Umgang der Polizei mit Pressevertreter*innen
Leinemasch BLEIBT verurteilt den Versuch der Polizei, die Pressefreiheit einzuschränken und klagt erfolgreich dagegen
Selbst die über ein aufwändiges vorherigers Akkreditierungsverfahren angemeldeten Journalist*innen sollten nur in Begleitung der Polizei in vorgegebenen Zeitslots aus vorgegebener Perspektive an ausgewählten Orten bei Räumung und Rodung anwesend sein dürfen. Gegen diese Zulassungsbeschränkung hatte am Montag eine Person im Kontext von Leinemasch BLEIBT geklagt und vom Verwaltungsgericht Hannover am Dienstag Recht bekommen. In Folge dieses Urteils gegen die Polizeidirektion Hannover ließ die Polizei bereits am Dienstag Vormittag schließlich alle anwesenden Pressevertreter*innen zur Räumung in den abgesperrten Bereich um Tümpeltown. Nur um sie kurz darauf erneut auszuschließen. Augenscheinlich hat sie auch keine Presse zu den zeitgleich stattfindenden Rodungen im Westabschnitt und an den Ricklinger Kiesteichen gebracht, die damit weitgehend unbemerkt geschehen, weil sie öffentlich nicht oder kaum mehr zugänglich sind.
Wir verurteilen – wie es bereits mehrere andere Medien, die Deutsche Journalist*innen-Union (ver.di) in einer Pressemitteilung und eine gestern gestartete WeAct Petition getan haben – den Versuch der Polizei, auf so dreiste Art und Weise die Pressefreiheit einzuschränken. Es ist untragbar, dass wir elementares Presserecht auf dem Klageweg einfordern müssen. Eine Presse, die nur dahin schauen kann, wo die Polizei möchte, dass sie hinschaut, ist keine freie Presse. Dei Polizei verhindert, dass eine Röumung, die oft mit Polizeigewalt verbunden ist, so von der Presse begleitet werden kann, wie es ihrer Rolle als neutrale, kritische Instanz entspricht.
Aktivist*innen begeben sich zwangsläufig oft in lebensgefährliche Situationen, in denen sie der Polizei ausgeliefert und auf korrektes Vorgehen angewiesen sind. Daher ist es für sie lebenswichtig, dass freie Presse und Parlamentarische Beobachter*innen als kritische Instanz vor Ort sind,
2. Umgang der Polizei mit Passant*innen, beteiligten Aktivist*innen und Menschen in Gewahrsam
Leinemasch BLEIBT verurteilt vielfache Verstöße gegen Grundrechte und sammelt weiterhin Berichte von Menschen, die von Schikanen, entwürdigender Behandlung oder Gewalt durch Polizei betroffen sind
- Bereits am Wochenende vor der Allgemeinverfügung wurden mehrfach wahllos Menschen in der Leinemasch kontrolliert und zum Teil durchsucht. Menschen auf dem Weg zur Mahnwache wurden getäuscht, indem ihnen mitgeteilt wurde, dass es keine Mahnwache mehr gebe. Eine Passantin, die mit Polizist*innen über eine plötzlich errichtete Wegsperrung diskutierte, erhielt umgehend einen Platzverweis.
- Die Polizei machte aus einer Versammlungsverbotszone rechtswidrig eine Aufenthaltsverbotszone, begründet mit einem Sicherheitsbereich, der in der eigentlichen Verfügung nicht erwähnt wird.
- Die Polizei konstruiert den Vorwurf des Hausfriedensbruchs auf weitgehend öffentlichen Flächen, um Aktivisti eine Straftat anhängen zu können.
- Am Montag missbrauchte die Reiterstaffel der Polizei ihre Pferde, um inmitten einer engen Menschengruppe direkt vor der Mahnwache eine einschüchternde Situation zu erzeugen. Dabei verlor die Polizei in dem Gedränge die Kontrolle über mindestens ein Pferd, so dass Augenzeug*innen von einer derart aggressiv-bedrohlichen Situation berichteten, dass ihr Körper mit Übelkeit reagierte.
- Menschen im Barrio „FKK“ waren mehrere Tage von der Polizei umstellt; sie durften vom Boden nicht mit Essen und Wasser versorgt werden.
- Die Behandlung in der Gefangenensammelstelle beschreiben einige Gefangene als unmenschlich: Grundrechte wie Essen und medizinische Versorgung werden über Stunden verwehrt. Über Stunden wurde auch das Recht auf einen erfolgreichen Anruf verweigert. In einem Fall wird von Schlägen und stundenlanger Fesselung, entkleidet bis auf die Unterhose, berichtet.
Wir verurteilen einen solchen rechtswidrigen Umgang mit Menschen, egal ob Passant*innen oder geräumte*r Aktivsti. Wir erwarten, dass insbesondere den schweren Vorwürfen von Polizeigewalt und entwürdigendem Verhalten gegenüber Gefangenen nachgegangen wird und dass es eindeutige Konsequenzen für Polizist*innen hat, die ihre Macht auf derartige Weise missbrauchen.
3. Darstellung der Medien von den Protesten
Leinemasch BLEIBT stellt fest, dass insgesamt ausführlich und meist ausgewogen berichtet wird, wünscht sich aber eine – häufig fehlende – Einordnung der Proteste und den Verzicht auf Vorverurteilungen
- Wenn vor Beginn der Räumung als Titel über einem langen Artikel die Frage steht: „Wie viel Randale wird es geben?“ – dann ist das in unseren Augen eine unangemessene Vorverurteilung. Es wird die Sorge geschürt, dass „der radikale Flügel“ Probleme macht. Es wird nicht die Sorge geschürt, was beispielsweise die mediale Konsequenz aus Lützerath sein könnte, dass die Polizei eskalieren könnte.
- Die Formulierung „Schwere Ausschreitungen“ für einen Vorfall, der sich mehr oder weniger unbemerkt vor den Augen von Hunderten Menschen auf dem Spaziergang durch die Masch ereignet hat, halten wir für unangemessen und tendenziös.
- Wir vermissen die Einordnugn der Proteste als politischen Protest gegen das Weiter-so. Bei Zuschreibungen wie „Naturschützer“, „Umweltschützer“ und „Klimaschützer“ wird dieser Kontext (bewusst?) ignoriert. Wir wünschen uns, dass neben der akribischen Beschreibung der Vorgänge rund um die Räumung eine Einordnung in den Kontext von aktuellen Klimafakten und -folgen für die Gesellschaft, von Klimagesetzgebung und dem Umgang von entscheidenden Politiker*innen und Behörden damit erfolgt.
Eine Einordnung des Geschehens in den Kontext der Menschheitsherausforderung „Klimakatastrophe“ sehen wir als zentrale Aufgabe einer freien Presse als „vierte Gewalt“ in der Demokratie.